Anna hat es immer geliebt, kleine Wunder zu entdecken, wo andere nur Alltägliches sahen. Als Kind sammelte sie Muscheln am Meer, und jede einzelne schien ihr wie ein geheimer Brief vom Meer. Ihre Mutter scherzte, dass bald kein Platz mehr unter ihrem Bett für diese „Meeresbotschaften” bleiben würde, aber Anna kümmerte sich nicht darum.
Im Laufe der Jahre verschwand diese Liebe zu Rätseln nicht – sie veränderte sich einfach, genau wie Anna selbst. Jetzt arbeitete sie als Interface-Designerin, dachte über Farben nach und überarbeitete die Entwürfe ihrer Kunden, um sie kreativer zu gestalten. Abends blätterte sie in Reiseblogs und träumte davon, ihre gesamten zwei Wochen Urlaub in Französisch-Polynesien zu verbringen.
Kürzlich stieß sie auf einer nicht öffentlichen Website auf einen kurzen Beitrag über einen Container, der auf Bora Bora verloren gegangen war. Es ging um einen türkisfarbenen Kugelcontainer, in dem der Code für die verlorene Krypto-Geldbörse eines französischen Multimillionärs versteckt war. Er bot dem Finder der Kugel – dem Schlüssel zum USDT-Vermögen – eine Belohnung in Höhe von 25 Prozent des Inhalts des „Krypto-Containers” an. Die Art und Weise, wie die Belohnung ausgezahlt wird, spielt keine Rolle. Es kann sich sowohl um eine schnelle USDT-Transaktion als auch um eine Auszahlung in traditionellen Fiat-Währungen handeln...
Es klang wie eine Fantasie, aber in dieser Nacht konnte Anya nicht einschlafen. In ihrem Kopf kreisten Bilder vom Ozean, der türkisfarbenen Kugel und dem Wunsch, das Verlorene zu finden. Zumal sie bald Urlaub hatte. Sie nahm nicht viel mit auf ihre Reise, nur das Nötigste, einen Laptop, eine Kamera und einen dünnen Schal – die einzige Erinnerung an ihren Ex. Eine Woche später flog sie bereits über die Wellen des Ozeans.
„Bora Bora... Kristallklares Wasser, weiße Strände und luxuriöse Bungalows auf Stelzen, die direkt über der Lagune stehen... Eine schöne Zeit verbringen und tolle Fotos machen...“, dachte sie.
Auf Bora Bora bezog Anna ein kleines Bungalow direkt über dem Wasser. Abends lauschte sie den Wellen und schrieb ihre Träume in ein Notizbuch. Sie waren seltsam: Sie rannte barfuß über den nassen Sand.
Eines Tages bot ihr ein einheimischer Junge an, ihr „besondere Orte“ zu zeigen. Sie fuhren mit dem Boot los, bis sie an einer Klippe mit einer kleinen Höhle ankamen. Sie spazierten ein wenig am Ufer entlang und schauten in die Höhle hinein. Im Inneren roch es nach Algen, Seesteinen und Stille.
Zwischen Muscheln und Steinen, direkt an der Flutlinie, sah sie einen kleinen Ball. Das ist eine Kugel, dachte sie.
Der Ball glänzte matt im Licht der Morgensonne, als würde er ihr antworten. Im Inneren des Balls fand sie zwei USB-Sticks. Manu stand einfach daneben und schwieg.
Als sie zum Bungalow zurückkehrten, setzte sich Anna an ihren Laptop und schrieb einen Brief. Eine Stunde später erhielt sie eine Antwort, und auf dem Bildschirm erschien der Betrag, der auf ihr Konto überwiesen worden war.
Am Morgen ging sie auf die Terrasse, wo Manu bereits auf sie wartete. Die Sonne stieg über dem Ozean auf, und die Reflexe spielten auf dem Wasser.
Anna hielt Manu an der Hand und wusste: Wahres Glück liegt im Vertrauen, im gemeinsamen Lachen, im Gefühl des Windes auf dem Gesicht. In ihrer Seele fühlte sie Frieden. Sie lächelte, umarmte ihn und dachte, dass das Wichtigste in ihrem Leben bereits geschehen war.